Entw / Mac McLaw

Kapitel 1 – The Path To Freedom

Ich hatte keinen Grund, mich heute von diesem Regen unter­kriegen zu lassen. Nicht heute, denn an diesem Tag war für mich ein Kapitel zu Ende, weshalb Leute schon schwul geworden sind, sich umgebracht ha­ben, in dem der Großteil zugrunde geht, bei dem man meist seine feste Freundin verliert, um sie gegen viel zu viele lockere und unwesentliche Bekanntschaften einzutauschen, und in dem man viel zu viele Idioten trifft, die auch noch ständig versuchen, aus Dir einen Kameraden zu machen – wovon ich spreche?

Die Armee!

Nun saß ich hier in einem dieser sinnvollen Zugabteile, die mich manchmal schon fast zum Wahnsinn getrieben haben. Nicht weil sie alle gleich blöd aussahen oder weil sie meist so ekelig nach irgendetwas Undefinierbarem stanken. Aber wenn man ungefähr 35 Stunden im Monat damit verschwendet, in die­sen 3×2 Meter Dingern rum zu juckeln, da kann einem nach ei­nem Jahr Tortur schon das Kotzen kommen, wenn man auch nur einen Zug von weitem sieht.

Öde Landschaft, immer dasselbe, verwischt, grün und sowieso viel zu langweilig. Aber heute war der Tag, an dem mich das alles nicht im Geringsten tangierte. Vor ungefähr acht Stun­den hatte ich den Spieß gedanklich das letzte Mal in seinen fetten riesigen Arsch getreten und war dann mit einem mitleidig-hämi­schen Lächeln an den ganzen Rotärschen vorbeigegangen.

Auf dem Ex-Platz wurde gerade Formaldienst durchgezogen und zwar auf die nervigste Tour. „Vor Gebäude 19 in Linie antre­ten, marsch marsch“, und auf halbem Weg dann das obligatori­sche „Aaaachtuung“, das die drei Dutzend blauen Brenner in Bruchteilen von Sekunden anhalten und sich zum Ausbilder um­drehen ließ. Danach zum Ausbilder gewetzt und in Linie ange­treten. Dann das ganze Spiel von vorne. Eine der ganz feinen Methoden, auch den Aufsässigsten dieses bedauernswerten Hau­fens so langsam weich zu kochen. Im wahrsten Sinne des geflü­gelten Wortes.

„Ihr könnt froh sein, daß ihr den Scheiß bei schlechtem Wet­ter macht und nicht, wie ich damals in meiner Grundi, bei 30 Grad im Schatten. Da würdet ihr wirklich gekocht“, dachte ich, als ich den Haufen fluchen hörte.

Irgendwie hatte ich aber doch immer Mitleid, wenn ich die Frisch­linge bei ihrer Ausbildung beobachtete, aber anderer­seits dachte ich immer ein bißchen egoistisch, –„dir hat auch niemand irgend­welche Tricks verraten, sollen sie ihre Erfahrung doch selber machen. Da mußte ich schließlich auch durch. Hart aber gerecht, und schließlich wollen wir doch alle ´ne starke, tüchtige Armee und keinen verweichlichten Haufen von Waschlappen, oder?!“

Meine Einstellung zur Armee war sowieso sehr chaotisch, ich kann nicht sagen, daß das die Zeit meines Lebens gewesen ist, aber daß wir uns eine Armee halten, der Luxus find ich, muß schon sein. Luxus des­halb, weil bei der Armee ein Geld ver­pulvert wird, daß man wahrlich das Hosenflattern bekommen kann. Überlegt man nur mal, was für das Klopapier für ca. 400.000 Mann drauf geht. Wenn man die Summe auf ein Jahr hoch­rechnet, kann einem schon schwindelig werden…

Aber wollen wir den Verteidigern unseres hochgeliebten Vater­landes denn das Scheißen verbieten?

Hoffentlich nicht, das hält man nämlich nicht lange durch, hab ich schon probiert.

Unser Wachtposten stand in seinem Unterstand und guckte ganz bedrückt, das Wetter machte ihm zunehmend Sorgen, wahrschein­lich sah er sich schon am nächsten Tag mit einer wunderbaren Erkältung im Bett liegen. Als ich an ihm vorbei wollte, hellte sich seine Miene allerdings sichtlich auf.

Bestimmt war ich der erste Mensch, den er heute gesehen hatte; die anderen Idioten, die an diesem Tag schon an ihm vorbei gekommen waren, konnte man nicht dazu zählen. Außerdem hatte unser Haufen schon immer eine Sonderstellung in der Ka­serne. Unser Seenot-Rettungshubschrauber machte schon was her…

Man erkannte uns schon von weitem an unserem Abzeichen auf dem Ärmel und unserem Oliv. Tatsächlich war das hier nämlich eine Marinekaserne, wo alle dunkelblau trugen. Wir allerdings waren Marineflieger – die trugen Oliv.

Wir waren die ungekrönten Könige der Insel. Ich hatte nämlich das Glück oder Pech, auf einer Urlaubsinsel stationiert zu sein. Jawohl, eine Urlaubs­insel.

Na ja, jedenfalls genoß ich meine Privilegien und nutzte sie aus, wo ich nur konnte. Da wir zur SAR gehörten, fielen wir so oder so aus der Reihe. Wir wurden von allen geachtet, weil wir Menschenleben retteten, und zudem hatten wir den stressigsten Job von allen. 24 Stunden, rund um die Uhr mußten wir einsatzbereit sein. Das war vielleicht eine Scheiße, wenn man um ca. 3 Uhr nachts gerade im schönsten Traumland war und dann ein beschissener Einsatz kam. Inner­halb weniger Sekunden aus dem Bett springen und loslegen. Einmal hätte ich fast gekotzt. Und das nicht zum Scherz… am nettesten waren die Einsätze, die mitten in der Nacht began­nen und bis zum nächsten Morgen dauerten. Dann brauchte man sich wenigstens keine Illusionen mehr auf ein bißchen Schlaf zu machen.

„Ich wünsch Dir was, wahrscheinlich sehen wir uns nie wieder, Alter“, sagte ich zu ihm, als er vor mir salutierte, obwohl ich ja gar keine Uniform mehr trug.

„Na, geht’s endgültig nach Hause?“

„Jawoll und zwar zurück zur Menschheit, hab ich lang genug drauf gewartet.“

„Grüß mir die freie Welt.“

„Mach ich, Alter, ich werd Dir ´nen Platz draußen frei halten.“

Jetzt hatte ich nur noch 2 ½ Stunden Fährfahrt vor mir. Oh, dafür haßte ich diesen Scheißhaufen. Mit unserem SeaKing brauchten wir für dieselbe Strecke gut 10 Minuten, und trotz­dem mußte ich jedes Mal mit dieser scheiß Fähre fahren. Diese bekloppten Bürokraten; wie ich sie manchmal haßte. Grausam.

Als ich dann endlich runter war von meiner Robinson-Insel und Festland unter den Füßen hatte, machte ich fast einen meter­hohen Luftsprung; auf jeden Fall beglückwünschte ich mich erst mal selbst zu meiner soeben wieder gewonnenen Freiheit. Mit einem Lächeln, das von hoch oben zu kommen schien, stieg ich kurz darauf in meinen Zug. Ist schon ein traumhaftes Ge­fühl, plötzlich niemandem mehr verpflichtet zu sein, hingehen zu können, wohin man will.

Vor allem genoß ich es, nicht mehr von irgendwelchen vorge­setzten Idioten abhängig zu sein. Wenn man bedenkt, daß ich Dienstgradniedrigster, aber der einzige mit Abitur war, könn­ten einem noch jetzt die Tränen kommen. Als „Junior“ mußte ich natürlich, theoretisch, vor jedem noch so dummen Arsch auf die Knie fallen. Aber ich war ja nicht bekloppt, wozu ha­tten wir auf dem Gymnasium denn das Disku­tieren gelernt? Deshalb hatte ich ja auch andauernd Ärger in diesem Verein. Na ja, man konnte seine Vorgesetzten zwar nicht belehren, aber wenn man ihnen von Zeit zu Zeit zeigte, wie dumm und ungebildet sie waren, brachte das auch schon eine gewisse Genugtuung. Zumindest für kurze Zeit.

 

(© Mac McLaw – aus: »Dreamhunter« – Ur-Fassung, 1. Auflage)